Der Erste Weltkrieg erschütterte und veränderte die Welt vor 100 Jahren, seine Auswirkungen reichen bis in die heutige Lebenswelt. Die Jahre vor dem Kriegsausbruch 1914 waren geprägt durch Wandel und Krisen auf politischer, gesellschaftlicher sowie kultureller Ebene. Einen kritischen und unterhaltsamen Einblick in die Zeit des wilhelminischen Kaiserreiches geben Karikaturen, wie sie in der 1896 gegründeten Wochenzeitschrift „Simplicissimus“ veröffentlicht wurden.
In einer Sonderausstellung präsentiert das Kieler Stadt– und Schifffahrtsmuseum in Kooperation mit dem Hannoveraner Museum Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst – herausragende Originalzeichnungen von für den „Simplicissimus“ tätigen Künstlern. Gezeigt wird die Ausstellung unter dem Titel „Zwischen Kaiserwetter und Donnergrollen. Die wilhelminische Epoche im Spiegel des Simplicissimus von 1896 bis 1914″ vom 25. Mai bis zum 14. September im Warleberger Hof, Dänische Straße 19.
Die Ausstellung zeigt, wie die Menschen in der wilhelminischen Zeit in Zerrissenheit zwischen dem technischen und wissenschaftlichen Fortschritt einerseits und der konservativen Gesellschaftsordnung des Kaiserreiches andererseits lebten. Internationale Krisen und Konflikte trübten das „Kaiserwetter“. Trotz „leisen Donnergrollens“ vermochte doch niemand die Folgen des Kriegsausbruches vorherzusehen. Die ausgestellten Karikaturen aus dem „Simplicissimus“ sind als Spiegel der wilhelminischen Gesellschaft zu verstehen und zu lesen: Sie sind ganz besondere Quellen, die einen ganz eigenen Einblick in die Gefühlswelt der Menschen vor Kriegsausbruch geben.
Der „Simplicissimus“ war eine satirische Wochenzeitschrift, die vom 4. April 1896 bis zum 13. September 1944 erschien. Die Redaktion hatte ihren Sitz in München. Die Zeitschrift zielte auf die wilhelminische Politik, die bürgerliche Moral, die Kirchen, die Beamten, Juristen und das Militär. Der „Simplicissimus“ war immer ein Fürsprecher der unteren Schichten. Er gab Einblicke in ihre Sorgen und Probleme und richtete sich gegen diejenigen, die voller Ignoranz auf sie herabblickten.
Das Hauptaugenmerk der Satirezeitschrift galt der Innen– und Außenpolitik, unter anderem der Flottenpolitik, Russland, den Krisen auf dem Balkan sowie den kolonialen Machtkämpfen, welche sich auch in den einzelnen Themen der Ausstellung niederschlagen. Trotz aller sonstigen politischen Offenheit schlossen sich die Herausgeber des „Simplicissimus“ nicht den Emanzipationsbestrebungen der aufkommenden Frauenbewegung an, sondern diffamierten diese.
Hochwertige Karikaturen und namhafte Zeichner
Basis der Sonderausstellung ist die Sammlung des Museums Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst -, mit dem die Ausstellung in Kooperation verwirklicht wurde. Die hochwertigen 63 Originalarbeiten der „Simplicissimus“-Zeichner, die mit Tusche, Feder und Pinsel sowie Kreide und Deckweiß gefertigt wurden, stammen darüber hinaus auch von privaten Leihgebern. Außerdem werden 17 „Simplicissimus“-Ausgaben, vor allem aus dem Bestand des Kieler Stadt– und Schifffahrtsmuseums, sowie 31 Bildreproduktionen gezeigt.
Die Zeichner porträtieren auf höchstem künstlerischem Niveau Kleinbürger, Arbeiter und Staatsrepräsentanten; sie unterhalten, kommentieren und berichten vom politischen Geschehen und den sozialen Verhältnissen des Kaiserreichs. Ihre Kritik richtet sich vor allem gegen blinden Gehorsam, ohne dabei ernsthaft am Fundament des Staates zu rütteln.
Folgende elf namhafte Künstler werden gezeigt: Thomas Theodor Heine (1867−1948), Bruno Paul (1874−1968), Rudolf Wilke (1873−1908), Eduard Thöny (1866−1950), Karl Arnold (1883−1953), Olaf Gulbransson (1873−1958), Wilhelm Schulz (1865−1952), Brynolf Wennerberg (1866−1950), Marcel (Marcello) Dudovich (1878−1962), Ferdinand von Reznicek (1868−1909) und Heinrich Zille (1858−1929).
Zwei von ihnen sind besonders hervorzuheben: Eduard Thöny und Thomas Theodor Heine.
Thöny zeichnete für den „Simplicissimus“ von der ersten Ausgabe 1896 bis zur Einstellung im Jahr 1944 und widmete sich zeichnerisch vor allem dem Militär und den gehobenen Gesellschaftskreisen. Grundlage seiner plakativen und einfachen, dabei aber immer detailgenauen Karikaturen waren oftmals Fotografien.
Thomas Theodor Heine brach im Gegensatz zu Thöny sein Studium an einer Kunstakademie ab und arbeitete ab 1893 für die „Fliegenden Blätter“. Zeit seines Lebens bekämpfte er den Nationalsozialismus, was ihn auch zur Flucht nach Stockholm zwang. Er hatte besonderen Einfluss auf den „Simplicissimus“.
„Mit den Ringenden ringen“: Die Politisierung des „Simplicissimus“
Die Illustrierte Wochenzeitschrift „Simplicissimus“, erste Ausgabe am 4. April 1896, erschien nach französischem Vorbild der Zeitschrift „Gil Blas“, Verleger war der Fabrikantensohn Albert Langen. Mit 24 Jahren gründete er einen Kunst– und Literaturverlag in Paris, der dann nach Leipzig und später nach München verlegt wurde.
Langen erzählte dem Leipziger Zeichner Thomas Theodor Heine von seiner Idee einer satirischen Zeitschrift und seiner Namensvorstellung. Heine teilte jedoch nicht die Begeisterung für den „klanglosen“ Namen, der zudem „schwer auszusprechen“ war. Dennoch entwarf er den Schriftkopf, der so bis 1944 verwendet wurde.
Zunächst war der „Simplicissimus“ größtenteils unpolitisch. Frank Wedekind und Thomas Theodor Heine trugen maßgeblich zur Politisierung bei – Wedekind unter seinem Pseudonym Hieronymus mit gesellschaftskritischen Balladen, Heine mit den Karikaturen.
Am 27. Juli 1896 verkündigte Albert Langen die neue Ausrichtung des „Simplicissimus“: „Der Simplicissimus in seinem Bestreben, mit unbefangenen Augen die Zeit und das Ringen der Geister zu betrachten, will sich nicht damit begnügen, als Zuschauer am Wege zu stehen, sondern er will auch mit den Ringenden ringen.“ Der inhaltliche Wandel wurde durch Heines Neuentwurf des „Simplicissimus“-Repräsentanten, bis dahin ein Teufel, begleitet: Eine rote, zähnefletschende Bulldogge vor schwarzem Hintergrund symbolisierte von da an die Bissigkeit und Angriffslust.
Die Unbequemlichkeit der Zeitschrift zeigte sich bereits im ersten Jahr in Form von Beschlagnahmungen dreier Heftausgaben, die die Popularität jedoch nur steigerten.
Majestätsbeleidigung: Verleger, Zeichner und Dichter auf der Flucht
Per Gesetz waren die Möglichkeiten Kaiser Wilhelm II. zu kritisieren stark eingeschränkt, denn gerade zu Beginn seiner Regierungszeit gab es viele Prozesse aufgrund von Majestätsbeleidigung. Daher waren die Zeichner des „Simplicissimus“ vorsichtig. Bezüge wurden nur indirekt hergestellt oder allgemein gehalten, so dass die Kritik sich gegen eine allgemeine Darstellung eines Monarchen richtete. Historisierte Titulierungen wie „Serenissimus“ waren ebenfalls gängig.
Verurteilungen aufgrund von Majestätsbeleidigung gab es jedoch nur zwei – eine davon betraf Verleger Albert Langen, den Zeichner Thomas Theodor Heine und Frank Wedekind. Den Skandal löste die „Simplicissimus“-Ausgabe vom 29. Oktober 1898 aus. Enthalten war eine satirische Anspielung auf die Reise des deutschen Kaiserpaares nach Palästina, bei der sie am Reformationstag die protestantische Erlöserkirche in Jerusalem einweihten. Die Staatsanwaltschaft Leipzig ermittelte gegen Verleger, Zeichner und Dichter aufgrund von Majestätsbeleidigung. Diese konnten sich zunächst durch Flucht vor einer Verhaftung retten. Heine und Wedekind wurden später festgenommen und zu Gefängnishaft verurteilt. Langen musste eine Geldstrafe von 20.000 Mark zahlen.
Nichtdestotrotz wurde Kaiser Wilhelm II. Humor nachgesagt. So hingen an Board seiner Jacht Karikaturen und durch einen Geheimerlass 1905 ordnete er an, eine Buchpublikation mit internationalen Karikaturen zu seiner Person nicht zu verhindern. Die deutsche Ausführung von John Grand‐Carteret erschien 1906 mit dem Titel „,Er‘ im Spiegel der Karikatur“ und wird ebenfalls in der Ausstellung gezeigt.
„Kaiserwetter“ und „Donnergrollen“: Die Themen der Ausstellung
Die übergeordneten Themen der Ausstellung sind „Kaiserwetter“ und „Donnergrollen“, die für die Ambivalenz und Zerrissenheit der wilhelminischen Epoche stehen.
In sechs Kapiteln widmet sich der Ausstellungskomplex „Kaiserwetter“ den zentralen Momenten des Kaiserreichs, die sich aus folgenden Themen zusammensetzen: „Adel und Monarchie“, „Offizierskorps und Burschenschaften“, „Wilhelm II.: Maritime Begeisterung und Flottenpolitik“, „Majestätsbeleidigung und Skandalgeschichten“, „Parteien und Institutionen“ und „Kultur und Unterhaltung“.
Das „Donnergrollen“ kündigt neue Zeiten an und zeigt auf, was national und international im Argen liegt. So behandeln die sechs Themen den generellen Wandel und allgemeine Veränderungen betreffend Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch soziale und politische Krisen innerhalb der Gesellschaft des Kaiserreiches und weit über seine Grenzen hinaus: „Neue Zeiten kündigen sich an …“, „Die soziale Frage: »Gegen die Reichen piept er nicht«“, „Die Frauenbewegung“, „Koloniales Machtstreben“, „Krisenherd Russland“ und „Internationale Konflikte und die Balkankrisen“.
Die Ausstellung mit überregional bedeutenden Themen hat direkten Bezug zur Kieler Stadtgeschichte, denn die Fördestadt als damaliger Reichskriegshafen lag im Fokus des öffentlichen Interesse im marinebegeisterten Kaisereich. Sie zeigt, wie sich die Verhältnisse Anfang des 20. Jahrhunderts zuspitzten und auf welchen gesellschaftlichen Grundlagen Militarismus und Kriegsbegeisterung fußten, die zur Katastrophe des Ersten Weltkriegs führten.
Im Begleitprogramm der Ausstellung lädt der Kieler Illustrator Volker Sponholz zu Sonderführungen ein und bringt in zwei Workshops Kindern und Erwachsenen die Kunst des Comic– und des Karikaturen‐Zeichnens näher. Für Kinder von fünf Jahren an wird eine Bastelaktion „wie zu Kaisers Zeiten“ angeboten. Außerdem stehen zwei Vorträge zum Leben in Preußen vor 1914 und zur Situation in Kiel im Juli und August 1914 auf dem Programm.
Weitere Informationen
„Zwischen Kaiserwetter und Donnergrollen. Die wilhelminische Epoche im Spiegel des Simplicissimus von 1896 bis 1914″
25. Mai bis 14. September
Kieler Stadt– und Schifffahrtsmuseum Warleberger Hof, Dänische Straße 19, 24103 Kiel
Telefon 0431÷901−3425
www.stadtmuseum-kiel.de
Twitter: @StadtmuseumKiel
Öffnungszeiten: täglich 10 bis 18 Uhr
Eintritt: 3 Euro, ermäßigt 1 Euro
Öffentliche Führungen: sonntags 15.30 Uhr
Gruppenführungen nach Vereinbarung unter Telefon 901‑3488